Friedrich Torberg

Writer and Journalist
Born 16/9/1908
Deceased 10/11/1979
Member since 1965

Meine Damen und Herren, verehrte Akademie-Mitglieder!

Ich habe Ihnen dafür zu danken, daß Sie mich als Mitglied aufgenommen haben, und ich glaube meinen Dank nicht besser abstatten zu können als dadurch, daß ich die Bedeutung dieser Mitgliedschaft richtig zu verstehen trachte. Mitglied der Akademie für Sprache und Dichtung zu sein, bedeutet also – wenn ich’s richtig verstehe – eine doppelte Verpflichtung: sowohl der Sprache wie der Dichtung gegenüber; und bedeutet, daß man die eine oder die andre Verpflichtung, oder womöglich beide, schon vorher erfüllt haben muß, sonst wäre man ja nicht als Mitglied aufgenommen worden. Man muß entweder ein guter Dichter sein, oder man muß mit der deutschen Sprache gut umzugehen wissen. Jenes entzieht sich der objektiven Feststellbarkeit, dieses erheischt sie. Und damit bin ich schon mittendrin in der Abstattung meines Dankes.

Es war, wie Sie sich denken können, eine große Freude für mich, die Mitteilung des Präsidenten von meiner erfolgten Wahl zum Korrespondierenden Mitglied in Händen zu halten. Ich las den Brief zwei- oder dreimal durch, um diese Freude richtig zu genießen, und machte mich dann sofort an die Lektüre des mit gleicher Post eingelangten Jahrbuchs 1964.

Ich begann, wie sich’s gehört, am Anfang, und der Anfang begann mit einer Vorbemerkung, und die Vorbemerkung begann mit den Worten: »Auf Grund einer freundlichen Einladung ...« Das war das erste, was ich las. Eigentlich aber – und vielleicht dürfte ich hier sogar sagen: recht eigentlich – las ich nicht: »Auf Grund einer freundlichen Einladung«, sondern ich las: »Aufgrund«. Die beiden Worte waren nämlich zusammengeschrieben. Sie bildeten ein einziges Wort, das ich beim Lesen unwillkürlich auf der ersten Silbe betonte, ganz so, als gehörte »aufgrund« zur gleichen Adverbklasse wie »aufrecht« oder »aufwärts«, oder – da es ja großgeschrieben am Anfang des Satzes stand – als wäre der Aufgrund ein Gegenstück zum Abgrund: der sich bis dahin nur im Zeitungsdeutsch vor mir aufgetan hatte. Jetzt aber trat er mir im Jahrbuch der Akademie für Sprache und Dichtung entgegen, noch dazu als das überhaupt erste Wort, so daß ich beinahe glauben wollte – so daß, nicht sodaß –, es sei leitmotivisch gemeint und schlage eine Brücke zu einem andern im Jahrbuch behandelten Thema: »Diskussion über die Deutschnote 5 im Abitur«.

Mir ist natürlich klar, daß Sprache sich ändern und erneuern muß, daß Fremdwörter eingedeutscht werden und Eingedeutschtes verfremdet wird, und daß unter den Wandlungen, gegen die man sich weder sperren kann noch sperren soll, bisweilen auch Verkürzungen eintreten mögen, auf durchaus organischem Weg und zu durchaus sinnvollem Ende. Hier jedoch, so scheint mir, handelt sich’s nicht um eine Verkürzung, sondern um eine Beschleunigung: die besser wohl den schon erwähnten Tageszeitungen anheimgestellt bliebe, wo der eilige Leser vom eiligen Schreiber zugleich mit dem Atem der Zeit auch die Atemlosigkeit mitgeliefert bekommt und wo sogar der Zwischenraum zwischen zwei Worten unter Druck steht.

Einem der sprachgenialsten deutschen Dichter, Christian Morgenstern, verdanken wir die Geschichte vom Lattenzaun »mit Zwischenraum, hindurchzuschaun«, und vom Architekten, der eines Tages plötzlich dastand – »und nahm den Zwischenraum heraus und baute draus ein großes Haus«. Man soll, heißt das, mit Zwischenräumen nicht leichtfertig umgehen, denn sie sind ausbaufähig. Man soll sie durchschauen und nicht übersehen. Sie verdienen es, daß man sich Zeit für sie nimmt. Sie haben ihren guten Sinn, sie gehören zum Wort, und diese Zusammengehörigkeit erweise sich auch weiterhin an Hand von Trennungen, statt daß anhand dessen, was heutzutage alles zusammengeschrieben wird, sich die Trennung vom guten Sinn vollzieht. Sie sind ein Teil des edlen Materials, das wir zu verwalten und mitzuformen haben. Und wenn ich heute, aufgrund Ihrer freundlichen Einladung, als neues Mitglied vor Ihnen stehe, so möchte ich meinen Dank dafür mit einer Bitte abschließen und möchte in der Akademie für Sprache und Dichtung Fürsprache einlegen für die Sprache, damit sie nicht auf Grund läuft.