Peter Wapnewski

Mediävist
Geboren 7.9.1922
Gestorben 21.12.2012
Mitglied seit 1986

Sigmund-Freud-Preis

Wem die Ehre widerfährt, gewählt zu werden in einen Kreis und durch einen Kreis von »Persönlichkeiten [...], die der deutschen Sprache und der deutschen Literatur durch ihr Werk gedient haben« (§ 3, Abs. 2 der Satzung), der wird versucht sein, das auf solche Weise über ihn gefällte Urteil zu rechtfertigen. Was schwerlich mit Hilfe einer Selbstbeschreibung, was allenfalls durch den Hinweis auf bisher Getanes und künftig noch zu Tuendes geschehen kann.
Daß Peter Wapnewski Jura studieren werde, weiß das Abiturzeugnis der Alten Kieler Gelehrtenschule vom März 1941 zu vermelden. Daß er Germanistik und angrenzende Fächer studiert hat, ist dem Krieg anzulasten. Der Soldat kam mit einer Verwundung davon, er zweifelte an den Chancen einer bürgerlichen Berufsausübung in familiären Traditionen, studierte also ohne festes Ziel und opferte die berufliche Planung der willkürlichen Neigung. Daraus wurde, gewissermaßen unversehens, die sogenannte akademische Karriere, und zwar auf dem Felde der Literatur des Mittelalters, der Alt-Germanistik. Mit den Stationen Heidelberg, Harvard, Tübingen, wieder Heidelberg; dann Berlin, Karlsruhe, und wieder Berlin.
Die Alte Germanistik ist mir das Fundament aller wissenschaftlichen Arbeit geblieben, ihr danke ich die unbeirrbare Hochachtung vor dem Handwerk und dessen sauberer Verrichtung, danke ich die Reserve gegenüber freischwebender Deutungslust, gegenüber den Abstraktionen des Spekulativen und endlich das Mißtrauen gegenüber einer Theoriedebatte, die angesichts ihrer selbst ihren Gegenstand aus den Augen verliert. Die Denkübungen der reinen Sprachwissenschaft zu verfolgen fehlt mir die Begabung, ihre geschichtlichen Formationen erfaßte ich als Lehrender, nicht als Forschender. Der Philologe in mir reagiert vornehmlich da auf Literatur, wo sie als sprachliche Form autonom, also Kunst wird. Das aber hieß sehr bald, sich nicht abfinden mit den willkürlich die Geschichte der Literatur, mit den ihren Strom regulierenden Barrieren. So daß ich ein gut Teil meiner Arbeiten zur Literatur und manche kritische Rezension dem 19. und 20. Jahrhundert gewidmet habe. Dabei das Mittelalter nicht aus dem Blick verlierend als eine die letzten hundertfünfzig Jahre immer erneut bewegende Epoche: von Jacob Grimm bis Richard Wagner, von Chamisso bis Hofmannsthal und Rilke. Auch habe ich die Musik als die intimste wie allgemeinste der Künste – den peinvollen Einschränkungen durch das eigene Dilettantentum zum Trotz – immer wieder hoffnungsfroh umworben.
Die seit den frühen 70er Jahren in ihrer Grundsubstanz veränderte Universität verlangte den Lehrer nicht in gleichem Maße wie in früherer Zeit. So konnte ich ein Teil meiner Möglichkeiten verlagern auf die Errichtung einer der Wissenschaft dienenden Akademie, die – nach dem großen Vorbild des Institute for Advanced Study in Princeton – 1980 zu Berlin gegründet wurde und deren erster Rektor ich war. Nach sechs Jahren das Institut getrost dem Nachfolger* anvertrauend, der auf seine Weise auch Vorgänger war und Kontinuität stiftete: Insofern als er bereits jener Institution angehörte, deren Mitglieder »der deutschen Sprache und der deutschen Literatur durch ihr Werk gedient haben«.
Historische Vorbilder zu bezeichnen fiele leicht und verbietet sich doch aus dem Bedürfnis, den Anschein der Vermessenheit zu vermeiden, weil Heroenbeschwörung den Abstand zwischen ihrer und der eigenen Leistung allzu deutlich macht. So beschränke ich mich im repräsentativen Verfahren auf drei Namen, deren Person und Leistung ich im Gleich(nicht Ein-)klang mitforschender und mitarbeitender Bemühung als Ermutigung und Exempel verstehe. Dabei geht es um die Felder (zum einen) der Literatur als einer Kulturwissenschaft; (zum anderen) der Literatur als einer darstellenden Wissenschaft; (zum dritten) der Literatur als einer kritisch anwendenden Wissenschaft. Da hat meine Bewunderung als kühner Entwerfer und alle Grenzen des Fachs leichthin sprengender uomo universale Pierre Bertaux (er ist 1986 gestorben). Da ist mir dank Anmut und Präzision der Darstellungskunst der germanistische Kollege Walther Killy ein Muster. Da bestaune ich voller Respekt die intellektuelle Unabhängigkeit des Literaturkritikers Marcel Reich-Ranicki.
Schließlich ein Wort der Bekümmerung darüber, daß mein Jahrgang die Akademie nicht weiterbringt auf dem Wege der von ihr so sinnvoll angestrebten Verjüngung ihres Mitgliedercorps. Allemal aber habe ich Grund zum Dank.