Erica Pedretti

Schriftstellerin
Geboren 25.2.1930
Gestorben 14.7.2022
Mitglied seit 1988

Mein Lebenslauf oder Lebenskonzept, sofern es das je gab oder gibt, ließ kaum erwarten, daß ich einmal, daß ich heute hier stehen würde, um mich vorzustellen und Ihnen für meine Wahl zu danken.

Zwar habe ich, kaum hatte ich schreiben gelernt, zu schreiben angefangen, habe bald auch ganz gern Schulaufsätze geschrieben und dabei verschiedenes über die Funktionen des Schreibens lernen können. So hat zum Beispiel die (von mir auch selbst illustrierte) Beschreibung eines Kinderheimaufenthalts die unangenehme Erinnerung an dieses Kinderheim gelöscht, nur die Details, die in den Aufsatz nicht eingingen, weil ich mit elf Jahren nicht imstande war, sie darzustellen, sehr Persönliches auch nicht preisgeben konnte, die sind mir geblieben. Diese frühe Erfahrung nütze ich heute noch, in die Notizhefte, die ich ständig mit mir trage, schreibe ich manchmal, um Unangenehmes aus meinen Gedanken zu räumen, nicht um es zu erinnern. Als sich aber herausstellte, daß ich schreibend einer Familientradition folgte, mein Vater schrieb damals noch fürs Prager Tagblatt, auch Erzählungen und Theaterstücke; er sagte, eine seiner Großmütter habe geschrieben und ein namhafter Dichter sei deren Bruder oder Onkel gewesen, und daß diese Tradition mich zu Qualität verpflichte, da verbrannte ich einen ersten Roman und ließ es fortan sein. Und zwar, das versprach ich mir, für immer.

Geradesogut konnte man ja malen. Wie mein Onkel in Paris, den ich bewunderte und liebte. Ein Onkel allein macht keine Tradition. Kaum war ich in der Schweiz angekommen, ich bin in der Tschechoslowakei geboren und aufgewachsen und einige sehr lang dauernde Monate nach Kriegsende kam ich mit einem Rot-Kreuz-Transport in die Schweiz (die ein anständiges Land ist, das auf ordentliche Berufsausbildung Wert legt und drum keine Kunstakademien, sondern Kunstgewerbeschulen, das heißt heute Schulen für Gestaltung, unterhält), in Zürich schrieb ich mich also, faute de mieux, in einer solchen Schule ein. Und bin zuerst Silberschmiedin und dann tatsächlich Bildhauerin und Malerin geworden.

So erzählt, täuscht das zielstrebige Gradlinigkeit vor, die meinem Leben, folglich auch mir, vor allem am Anfang weitgehend versagt war. Meine ersten Jahre habe ich nicht nur in Nordmähren, in Hohenstadt/Zábfieh, Sternberg und Freudenthai verbracht, sondern auch in Cella-Mehlis und Berlin. Scheinbar vergessene Interieurs, Straßenzüge und Landschaften dienten und dienen mir, das habe ich bei späteren Besuchen gemerkt, als Kulissen für meine Lektüre. Kaum ein Schuljahr konnte ich dort beenden, wo ich es angefangen hatte, so habe ich die Völkerwanderung etwa dreimal durchgenommen, anderes nie, die Berliner waren mir ein Jahr im Englisch voraus, das dort fehlende Latein versuchte ich fürs Hohenstädter Gymnasium in den Sommerferien nachzuholen. Und sehr bald brauchte ich das alles nicht mehr, dank meiner deutschen Muttersprache war mir nach dem Krieg eine höhere Schule verboten.

Mit fünfzehn mußte ich, was ich ohnehin gerne wollte, zu einem Bauern namens Musil, der sehr fromm war und liebenswürdig, bei dem ich mit Begeisterung bis zum körperlichen Zusammenbruch gearbeitet habe. Ungeeignet für diesen Beruf, kam ich dann zu einem Schuster. Kein schlechter Tausch, vor allem wenn das Tschechisch nicht ausreicht, um Männergespräche in allen Feinheiten zu verstehn. Gerne wäre ich Schuster geworden.

So erzählt, unterschlage ich Schrecken und Ängste jener Zeit, alle Umstände, die zu den Schrecken geführt haben, ich täusche eine Leichtigkeit vor, wie sie nur als Gegenbewegung und vielleicht nur bei Kindern über einer düsteren Grundstimmung aufkommen konnte. Mündlich ist es mir nie gelungen, jemandem, der oder die nicht selbst kannte, wovon ich sprach, mitzuteilen, wie es wirklich war; genausowenig übrigens, wie es mir zu sagen gelingt, wie es jetzt wirklich ist, und das ist wohl einer der Gründe, warum ich doch wieder angefangen habe zu schreiben.

Nach fast fünf Jahren und häufigen Mahnungen der Fremdenpolizei, meine Familie hatte nur eine Aufenthaltsbewilligung zwecks Weiterreise, emigrierten wir in die USA. (Nicht weil ich so nachtragend bin, erwähne ich die Fremdenpolizei, nur, weil ich durch das, was heute Flüchtlingen geschieht, immer wieder an die Freundlichkeiten der Behörde erinnert werde.) New York, wo ich für einen Hungerlohn zwischen anderen armen Teufeln arbeitete, fand ich noch schrecklicher als ich befürchtet hatte. So kam ich, der Einladung einer heimlichen Liebe folgend, sehr gerne zurück. Gian hatte die gleiche Schule wie ich bei den gleichen Lehrern einige Jahre vor mir absolviert. Wir haben in rascher Folge fünf Kinder bekommen, haben zweiundzwanzig Jahre im Engadin gelebt und alles mögliche gearbeitet und zeichnen, malen, modellieren und schreiben zur Zeit in La Neuveville am Bielersee.

So erzählt, scheint das alles ganz einfach.