Johann-Heinrich-Merck-Preis

STATUT

§ 1
Der Johann-Heinrich-Merck-Preis für literarische Kritik und Essay pflegt seit 1964 das für die Literatur unverzichtbare Gegenüber der herausragenden Literaturkritik und der essayistischen Erkundung intellektuellen Neulands.

Der Preis trägt den Namen von Johann Heinrich Merck als eines Verfassers vorbildlicher Kritiken und Essays.

Der Preis wird von der Merck KGAa gestiftet und ist aktuell mit 20.000 EUR dotiert. Er wird jährlich im Rahmen der Herbsttagung verliehen.

§ 2
Der Johann-Heinrich Merck-Preis wird vergeben für herausragende Leistungen auf dem Gebiet der Literaturkritik und der Essayistik.

§ 3
Das Vorschlagsrecht liegt in den Händen der Jury.

§ 4
Die Jury besteht aus dem Erweiterten Präsidium der Akademie.

Die Jury berät über die Kandidatinnen und Kandidaten in einem mehrstufigen Verfahren.

Beschlossen vom Erweiterten Präsidium am 18. Februar 2021

Wolfram Schütte

Journalist, Literaturkritiker und Filmkritiker
Geboren 16.9.1939

... in dessen Texten sich eine stupende Bildung mit einer präzisen Wahrnehmung des wirklich Neuen und Originären zu einem engagierten Plädoyer für die Autonomie der Kunst wie für die Freiheit der Kunstkritik verbindet.

Jurymitglieder
Juryvorsitz: Präsident Heinrich Detering
Vizepräsidenten Aris Fioretos, Gustav Seibt, Nike Wagner, Beisitzer Peter Hamm, Joachim Kalka, Navid Kermani, Per Øhrgaard, Michael Stolleis, Jan Wagner

Das einst schöne Geschäft der Filmkritik

Meine Damen & Herren, lieber Thomas Assheuer, sehr geehrte Akademie & Jury,

Sie haben bewirkt, dass ich hier vor Ihnen stehe. Dafür bedanke ich mich. Ihre unverhoffte, späte Auszeichnung hat mich ebenso überrascht wie erfreut.
Sie haben in Ihrer Begründung auch auf meine Arbeit als Filmkritiker angespielt. Deshalb will ich jetzt ein wenig über Filmkritik sprechen. Zum einen, weil es ein prekäres Genre innerhalb der Kultur- & Feuilletonkritik ist; zum anderen, weil wohl noch kein Johann-Heinrich-Merck-Preisträger auch als Filmkritiker geehrt worden ist. Ich hoffe jedoch, dem Sturm & Drang des verehrten Darmstädter Namensgebers auch mit meinen sonstigen Literaturkritiken & den glossierenden Eingriffen, Kommentaren & Polemiken einigermaßen gerecht geworden zu sein. Also: die Filmkritik. Sie ist unter den öffentlich ausgeübten Kunstkritiken die jüngste. Sie war es jedenfalls, als ich vom Leser auch zum Schreiber wurde – in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts.
Man tut denen, die sich in der Weimarer Republik bei uns zum Film äußerten, keinen Tort an, wenn man behauptet: Das war noch nichts, was den Namen Filmkritik verdiente.
Einzig der Soziologe & Philosoph Siegfried Kracauer, der überhaupt eine mehr als nur feuilletonistische Sensibilität für das moderne, urbane Leben besaß & sie journalistisch in der Frankfurter Zeitung regelmäßig artikulierte, hat schon vor 1933 filmkritisch im Sinne des Wortes gearbeitet. Danach galt bis 1945 »Kritik« als »jüdisch«.
Als wir – ein Kreis von Frankfurter Studenten – in den frühen 1960er Jahren eine Zeitschrift machten, die Filmstudio hieß, haben wir uns an Kracauer orientiert; aber nicht an dem Filmkritiker der Frankfurter Zeitung – diese Arbeiten kannten wir gar nicht –, sondern an dem Filmhistoriker, der in der amerikanischen Emigration das Buch Von Caligari zu Hitler geschrieben hatte. Diese sozialpsychologische Studie zur Geschichte des deutschen Films war 1958 als Taschenbuch bei Rowohlt erschienen. Kracauers These, wonach Filme eines Landes oder einer Kultur deren kollektive Mentalität reflektierten, schien uns geeignet, als Basis für unsere eigenen filmkritischen Gehversuche zu dienen. Spezielleres Besteck für die kritische Feinarbeit aber adaptierten wir von französischen und angloamerikanischen Kritikern & Filmtheoretikern der 1950er/1960er Jahre.
Das hatte auch die Filmkritik getan: die einzige, monatlich erscheinende unabhängige bundesdeutsche Filmzeitschrift. Sie war sowohl Vorbild als auch Konkurrentin für uns. Fast alle Filmstudio- & Filmkritik-Mitarbeiter haben dann später mit dem Film zu tun gehabt: in der Produktion, beim Verleih, als Redakteure beim Fernsehen oder als Filmkritiker bei Zeitungen. Das Filmstudio war für uns alle prägend, vielleicht sogar mehr als das jeweilige Studium.
Es war, meine Damen & Herren, eine wunderbare Zeit! Eine Zeit des An- & des Aufbruchs in jeder geistigen Hinsicht – in diesem universitären Frankfurt Adornos & Horkheimers. Aber die sogenannte Frankfurter Schule, in die wir ja alle mehr oder weniger gingen & die uns affizierte bis in den adornitischen Sprachgestus hinein, war nicht das einzige Glück unserer damaligen Zeit.
Welthistorisch war es die Zeit der Entkolonialisierung, gewiss auch im bedrohlichen Schatten der bipolaren Weltordnung & ihres von Atombomben »gesicherten« Kalten Krieges. Er war partiell erst in Korea & dann in Vietnam jedoch auch »heiß« geworden. Aber zugleich befand sich die Weltgesellschaft im Um- & Aufbruch: zu neuen Staaten & Gesellschaften; und auch in den etablierten Gesellschaften brodelte es. Das Verlangen nach Freiheit, Gerechtigkeit & Menschenwürde war allgemein. Was immer dann jeweils daraus politisch wurde, steht auf einem anderen Blatt. Aber die allgemeine Grundtendenz war optimistisch & der Fortschritt bis zu den »Grenzen des Wachstums« noch nicht diskreditiert. Es war eine Freude, da & dabei zu sein: »an den Fronten des Weltprozesses«, wie das der Philosoph nannte, der Hoffnung zum Prinzip erklärt hatte.
In diese besondere, einzigartige Zeit passten auch der Film & das Kino. Beide waren zwischen den 50er & den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts auf dem Höhepunkt ihrer sinnlich-geistigen Präsenz, gesellschaftlichen Relevanz & künstlerischen Entfaltung.
Wie die Malerei die »Leitwährung« der europäischen Renaissance war, so wurde der Film nach dem Zweiten Weltkrieg der Seismograph für die politisch-gesellschaftlichen Erschütterungen & die sozialen Verwerfungen & geistigen Bewegungen rund um den Globus.
Aber ich spreche von der Bundesrepublik. Sie war ökonomisch wirklich »auferstanden aus Ruinen«, wie das die Becher'sche Nationalhymne von der DDR bloß behauptete. Jedoch die bundesdeutsche Filmindustrie, die der von den Alliierten zerschlagenen nazistischen UFA nachfolgte, wurde in Geist & Tat weitgehend von deren altem Personal betrieben. Das reaktionäre »Schnulzenkartell« dichtete sich mit seinen evasiven »Heimatfilmen« & seinen autoritären »Problemfilmen« gegen jeden Versuch eines neuen, jüngeren, kritischen Films radikal ab. Es verfiel also unserer Kritik, die sich an europäischen Filmen Italiens & Frankreichs orientierte. Im Gegenzug favorisierten wir die Versuche unserer Generationsgenossen wie Kluge, Herzog, Schamoni. Sie erklärten »Opas Kino« für tot & wollten den »Neuen Deutschen Film« schaffen. Erst später kam der weltweit bekannteste unter ihnen, Rainer Werner Fassbinder, hinzu. Es gelang ihnen schließlich & die junge bundesdeutsche Filmkritik hat ihren Teil dazu beigetragen – auch, um den neuen deutschen Film der Bundesrepublik gegen die Trägheit des Publikums im eigenen Land durchzusetzen. Zum einen, indem sie ihr Leserpublikum wie sich selbst filmkritisch alphabetisierte. Denn es musste ja für das Film-Medium eine ihm adäquate Fach-Sprache gefunden werden, mit der man sich untereinander, zwischen der Kritik und dem lesenden Publikum, verständigte. Seither gehören Begriffe wie etwa Einstellung, Schnitt, Sequenz oder Überblendung & Schwenk zu unserem allgemeinen Sprachgebrauch.
Zum anderen verdanken wir den nachmaligen Welterfolg des bundesdeutschen Films von Fassbinder, Wenders oder Reitz einer vielfältigen Film-Förderungspolitik, deren Grundzüge & Methodik erst einmal erfunden & gegen bornierten Widerstand politisch in Bonn durchgesetzt werden mussten.
Seither weiß ich, dass Filmkritik – will sie ihrem Gegenstand gerecht werden – mehr sein muss als nur temporäre Kritik eines Films; nämlich stetiges Erkenntnisinteresse an & für Filmpolitik, Filmförderung, für den Verleih & den Vertrieb & für das Kino. Und das sowohl national als auch international.
Denn der Film schillerte von seinem Beginn an zwischen Kommerz & Kunst vieldeutig. Er befindet sich immer in prekären ökonomisch-künstlerischen Verhältnissen. Das machte ihn, diese hybride siebte Kunst, unter den anderen sechs traditionellen Gattungen diesen verdächtig & dubios. Aus solchem Spannungsverhältnis lebt der Film aber gerade – ob als sogenannte »Massenkunst« der Unterhaltungsindustrie oder als cineastisches Meisterwerk, das nur eine Minderheit schätzt.
Als wir damals in den Sechzigern die Filmkritik zusammen mit dem Publikum in der Bundesrepublik einführten & entwickelten – ja, man darf das so entschieden sagen –, mussten Publikum, Verleiher & vor allem Kinobetreiber erst einmal lernen, mit unseren Urteilen umzugehen. Zeitweise wurden wir der Kinos verwiesen & die Zeitungen mit einem Anzeigenboykott überzogen – bis man auch in der Branche begriffen hatte, dass unsere Filmkritik weder Fortsetzung des Marketings noch bloßes subjektives Geschmacksdiktat war. Argumentativ gingen wir vor, zogen historische Vergleiche, blickten auf das ästhetische, gesellschaftliche & auch politische Ambiente, damit das Urteil geistig transparent für die Einsicht des Lesers wie auch für seine Widerrede sei. Filmkritik, als neues Feuilletongenre in jener Nachkriegszeit, war – pathetisch gesprochen – auch der frohgemute Angriff demokratisch-rationalen Geistes auf jene von den Nazis verordnete »Kunstbetrachtung«, die noch in vielen Köpfen der davon einmal Affizierten virulent war. Wie der bundesdeutsche Film weltweit mehr für das rezivilisierte Ansehen der Bundesrepublik getan hat als jede Politik, so hat die bundesdeutsche Filmkritik intern für eine lange Zeit die anderen künstlerischen Äußerungen in unserer Kulturlandschaft dominiert.
Ich muss achtgeben, dass ich mit meinen enthusiastischen Erinnerungsworten bei Ihnen nicht den Eindruck erwecke, mir & meiner Filmkritiker-Generation großmäulig unrechte Verdienste zuzusprechen oder uns vor Ihren Augen nun rhetorisch auf die Schulter zu klopfen. Das habe ich aber nicht im Sinn.
Deshalb noch einmal die Versicherung, dass wir – vor allem von heute aus gesehen – unglaublich viel Glück hatten: in jeder Hinsicht, persönlich, beruflich, gesellschaftlich; unser einziges Verdienst war es vielleicht oder womöglich, dass wir das zeitnah begriffen & daraus etwas gemacht haben.
So wurde für einen historischen Moment Walter Benjamins paradoxe 13. These aus seiner Technik des Kritikers wahr. Sie lautet: »Das Publikum muss stets Unrecht erhalten und sich doch immer durch den Kritiker vertreten fühlen.« Zumindest ein Teil des Feuilleton lesenden Publikums!
Meine Damen & Herren: Was hatten wir auch für eine Zeitgenossenschaft unter den Filmemachern! In den jährlich neuen Filmen des Schweden Ingmar Bergman rangen wir mit Gott & dem Teufel, mit den Franzosen Truffaut & Chabrol träumten wir von der Liebe zu dritt oder erschraken wir über die kriminelle Energie, die im französischen Provinz-Bürgertum schlummerte & in Chabrols giftigen Filmen mörderisch ausbrach. Der junge Spanier Carlos Saura unterminierte mit seinen allegorisch-mehrdeutigen Familiengeschichten das Spanien Francos, der alte spanische Exilant Luis Bunuel belebte seinen anarchistischen Surrealismus an Stoffen, die er in Mexiko, Frankreich & sogar in Spanien auftat. Das italienische Dreigestirn Antonioni, Visconti & Fellini ließ uns die Welt der Moderne, der Geschichte und der barocken Phantasie immer aufs Neue mit ihren Augen durchmessen, die Epiker Angelopoulos, Tarkowskij und Kurosawa stellten uns ausgreifende Geschichts- & Gesellschaftspanoramen Griechenlands, Russlands & Japans vor staunende & entzückte Augen; Hitchcock drehte seine horriblen Lebensverunsicherungen, John Ford seine melancholischen Spätwestern & Martin Scorsese berichtete von Gewalt & Leidenschaft der US-amerikanischen Gesellschaft, der Brasilianer Glauber Rocha führte sein Riesenland in Trance & Euphorie vor, der Argentinier Fernando Solanas ließ sein rebellisches filmisches Pamphlet Stunde der Hochöfen in einer Che-Guevara-Ikonographie gipfeln. Und der Iraner Abbas Kiarostami bewegte uns tief mit den Alltagsabenteuern seiner kindlichen Helden. Ganz zu schweigen von dem einzigartigen Genie des Welschschweizers Jean-Luc Godard, dessen immenses Œuvre aus Poesie, Reflexion, Erzählung & Experiment für den Film jene Grenzerweiterung bedeutet, die in der bildenden Kunst mit Pablo Picasso & im Literarischen mit dem Namen von James Joyce benannt wird. Und wohlgemerkt, meine Damen & Herren, dieses Kaleidoskop von Meistern ist nur die äußerste Spitze einer weit umfangreicheren Zahl von großen Filmkünstlern, die einmal in ihren Ländern & Kulturen für die überwältigende Breite & Vielfalt der Kinematographie der Welt sorgten. Im Laufe der Jahrzehnte am Ende des 20. Jahrhunderts ging die Nouvelle Vague, die in Frankreich begann, rund um den Globus: ob in Polen, Ungarn & Jugoslawien oder in Großbritannien, Südamerika oder sogar in Hollywood. Diese »neuen Wellen« waren Phänomene der jeweiligen filmischen Renaissance. Sie pflanzte sich fort wie die aus Fußballstadien bekannte La Ola.
Wir bekamen von dieser Weltbewegung des Films aller Kontinente so viel mit, zum einen, weil es neben dem von den Hollywoodfilmen beherrschten Mainstream noch einen zweiten Verleih- & Kino-Markt für »kleinere Filme« gab.
Dafür machte sich die Filmkritik stark. Ja, das war sogar ihre filmkritische Haupttätigkeit: sich gegen den übermächtigen Mainstream, seine langläufigen »Blockbuster« und gegen die durch massives Marketing erreichte Konformität des Massen-Konsums zu stemmen. Und das Abweichende, Komplexere, Experimentelle, Widerständige & Minoritäre zu entdecken & hervorzuheben & es dem Publikum mit Enthusiasmus, Kennerschaft & analytischer Verve zu vermitteln. Das war das schöne Geschäft der Filmkritik, an der sich das lesende Publikum orientierte.
Der zweite Grund, warum die Filmkritik in der Bundesrepublik ein so reiches, vielfältiges Feld vorfand, lag an der Expansion des öffentlich-rechtlichen Fernsehens.
Das neue Konkurrenz-Medium führte einerseits zu einem ersten Kinosterben. Das Kino war bis dahin der zentrale, um nicht zu sagen: der »sakrale« Raum für die momentane lokale Erscheinung des Films. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen machte mit diesem Monopol ein Ende. Es »säkularisierte« gewissermaßen den Film, der seine einzigartige Kino-Aura verlor. Der Film trat damit unwiderruflich in seine Selbsthistorisierung ein.
Das Fernsehen mit seinen drei Programmen eröffnete aber neue – sowohl kleinere als auch intimere, nämlich häusliche – Präsentationsformen für Filme. Es hatte einen ungeheuren Programmbedarf, legte sich mehrere anspruchsvolle Filmredaktionen zu, die – ausgestattet mit beträchtlichen finanziellen Mitteln – bald ins nationale & internationale Filmgeschäft einstiegen. Diese Kollegen, die selbst Filmkritiker gewesen waren, hatten hohe ästhetische Ansprüche, der verrückte »Quotendruck« von heute war noch fern.
So ging mit der Ausweitung der Abspielmöglichkeiten nicht nur eine zeitweilig problematische Konkurrenz um jüngste Filme einher. Denn was im Fernsehen zuerst gelaufen war, hatte in den lokalen Kinos keine Chance mehr.
Umgekehrt wurde eher ein Schuh draus. Nachdem die Fernsehanstalten bereit waren, ihre Synchronfassungen Kleinverleihern eine Zeit lang vorab zur Kinoauswertung zur Verfügung zu stellen, verbreiterte sich das Filmangebot in unseren Kinos. So haben gewissermaßen ARD & ZDF unsere Film- & Kino-Kultur gefördert, ja sogar subventioniert & die Filmkritik hatte Grund, darüber erfreut zu sein. Aber auch auf den Fernsehseiten hatte sie zu tun.
Denn der Programmbedarf der Fernsehanstalten war so groß & vielfältig, dass man, um dafür fündig zu werden, in die Filmgeschichte zurückgreifen musste: nicht nur in die Hollywoods, sondern auch in die anderer Länder wie z. B. Japans oder der UDSSR. Was war uns in Deutschland nicht alles durch die Nazijahre & den Zweiten Weltkrieg vorenthalten worden und entgangen! Was hatten wir nicht alles zu entdecken!
Das bundesdeutsche Fernsehen – besonders aber seine damaligen Dritten Programme – war eine große, ausgreifende filmhistorische Schule des Sehens & Hörens für ein neugieriges, bald kundiges Millionen-Publikum in Stadt & Land! Es liefen im Ersten & Zweiten Programm zu den Hauptsendezeiten, die damals noch nicht »Primetime« genannt wurden, neueste Filme von Chabrol, Pasolini & Bunuel; und die Dritten Programme waren stolz, Originalfassungen mit Untertiteln zeigen zu können. Was war das doch für eine tolle Zeit, meine Damen & Herren! Wenn man nicht selbst dabei gewesen wäre, man würde es nicht glauben!
Das ist heute Vergangenheit, noch genauer gesagt: vollendete Vergangenheit.
Was hat uns alle miteinander aus diesem »Paradies« vertrieben?
Das zu entfalten würde heißen, eine vielseitige Geschichte der technischen Entwicklungen, der gesellschaftlichen Verwerfungen & der kollektiven Mentalitätswechsel zu erzählen. Nicht zuletzt gehört aber dazu auch der Befund, dass sich die Filmkritik von ihrer fördernden, fordernden & herausfordernden Haltung hat abbringen lassen. In vorauseilendem Gehorsam hat sie sich fast überall bloß noch zum Kellnerieren des vom Mainstreams diktierten aktuellen Angebots bereitgefunden. Die große Gleichgültigkeit ist nun an der Tagesordnung.
Es war einmal (anders); und es war kein Märchen. Daran wollte ich hier noch einmal erinnern: als Dank für den Johann- Heinrich-Merck-Preis.