Hans-Martin Gauger
Herr Professorin?

(Diese Glosse wurde am 10. Juli 2013 in der „Frankfurter Allgemeinen“ unter dem schönen von der Redaktion ersonnenen Titel „Wir fahren jetzt vierzehn Nächte in den Sprachurlaub“ veröffentlicht – ich habe sie für das Forum Sprachkritik etwas ergänzt.)

Also, es steht ja nur in der Verfassung der Leipziger Universität: „Professorinnen“, wenn ‚Professoren und Professorinnen’ gemeint sind. „Auf den Alltag an der Universität, auf den universitären Sprachgebrauch“, so Rektorin Beate Schücking, werde dies „keinerlei Auswirkung haben“. Die Bezeichnung „Herr Professorin Maier“, wie sogleich und etwas albern gewitzelt wurde, ist nicht zu befürchten. Es war auch, offensichtlich, nicht daran gedacht worden.

Man kann den Professor Josef A. Käs, „Head of the Soft Matter Physics Division“, ungefähr verstehen, wenn er im Senat der Universität, der diese terminologische Entscheidung fällte - entnervt, ist zu vermuten -, schließlich den Antrag stellte, dann eben die weibliche Form als die allgemeine oder neutrale zu nehmen: ‚dass a Rua is’ (offensichtlich ist Josef A. Käs Bayer: sein Name passt da gut hin, und jedenfalls hat er in München studiert).

Interessant wäre es aber schon zu wissen, ob bei jener Sitzung auch ein Sprachwissenschaftler, weiblich oder männlich, zugegen war. Leipzig ist nämlich für jeden Sprachwissenschaftler mit historischem Sinn ein fast magischer Name, denn die Leipziger Universität war Ende des 19. Jahrhunderts und etwas darüber hinaus das unbestrittene Mekka der Sprachwissenschaft – keineswegs nur in Deutschland, sondern überhaupt. Sprachwissenschaft hieß damals, ins Räumliche übersetzt, nicht nur Deutschland, sondern ganz speziell Leipzig. Hier haben denn auch zwei Männer studiert, die danach die Sprachwissenschaft veränderten: der Genfer Ferdinand de Saussure und der Nordamerikaner Leonard Bloomfield (und noch andere wären da zu nennen).

Jetzt sollen die vielen Stellungnahmen, welche die Universität Leipzig nach jenem Beschluss erreichten, im Auftrag der Rektorin von dem offensichtlich Schweizer Sprachwissenschaftler Beat Siebenhaar untersucht werden (Beat heißt man, glaube ich, nur in der Schweiz), und sicher wird dieses ohne Zweifel emotional sehr geladene Corpus dessen auch hier geforderten Sinn für Objektivität auf eine harte Probe stellen.

Von der Sache her gibt es, was jene Entscheidung angeht, eigentlich nur vier Möglichkeiten: man kann entweder die männliche Form generisch oder neutral gebrauchen, so wie es unsere Sprache und sehr viele andere Sprachen vorschreiben, oder man kann umgekehrt – und also gegen die Sprache – die weibliche Form generisch neutral verwenden oder man greift drittens auf die schwerfällige, weil monoton verlängernde Schrägstrichlösung Professoren/Professorinnen (oder Professorinnen/Professoren) zurück oder schließlich auf das merkwürdige, mit dem sogenannten Knacklaut beginnende und groß geschriebene Binnen-I, also Professor-Innen (man kann dieses ‚I’ also schon auch hörbar machen). Diese letztere Lösung ist eine für jeden Sprachempfindlichen unschöne Lösung (also keine), die sich in bestimmten progressiven Milieus, etwa (‚progressiv’ ist ein relativer Begriff) in der SPD, halbwegs durchgesetzt hat, aber, wie es scheint, schon wieder auf dem Rückzug ist.

Da haben wir nun gleich das Problem: entweder man stellt sich auf die Seite der Sprache, oder aber das mit der sprachlichen „Sichtbarmachung der Frau“ ist einem aus anderen als sprachlichen Gründen dermaßen wichtig, dass man es vorzieht, sich gegen die Sprache zu stellen.

Rein sprachwissenschaftlich ist die Sache eigentlich einfach. Unsere deutsche Sprache hat sich, wie sehr viele andere Sprachen, für die männliche Form entschieden, wenn es um das Generische geht, wenn also vom Geschlecht abgesehen wird: ‚Lehrer werden zu schlecht bezahlt’ oder ‚Dem Franzosen ist gutes Essen wichtiger als dem Deutschen’ oder ‚Die Zahl der Radfahrer nimmt zu’. Aber natürlich ist es Unsinn zu sagen, unsere Sprache habe sich so ‚entschieden’ (man sagt halt so), denn eine Sprache entscheidet sich nicht – es hat sich eben in ihr so ergeben: historisch. Dies heißt nun aber, dass Wörter wie Lehrer, Franzose, Deutscher, Radfahrer (und davon gibt sehr, sehr viele und zunehmend mehr) zwei Bedeutungen haben: erstens die allgemeine, generische, geschlechtlich undifferenzierte, zweitens das männliche Exemplar. Und die Bezeichnung für das weibliche ist dann zusätzlich markiert, durch Suffix und Artikel: (die) Lehrerin, Französin, Deutsche, Radfahrerin. Lehrer steht also erstens für den Beruf und nur für diesen, also auch ganz abgesehen von männlich oder weiblich, zweitens für den männlichen Fall. Das Wort Lehrer kann die Lehrerin einschließen (dann ist der mögliche Unterschied, wie die Sprachwissenschaft sagt, ‚neutralisiert’), es kann sie aber auch gerade ausschließen. Beispiele: ‚Lehrer werden zu schlecht bezahlt’ (da wird ja nun wirklich niemand verstehen: ‚Lehrerinnen aber keineswegs’) oder ‚Für eine solche Aufgabe sind Lehrer möglicherweise nicht so geeignet wie Lehrerinnen’.

Man redet da sprachwissenschaftlich auch, je nach Schule, von einer ‚inklusiven Opposition’: Lehrer steht sprachlich in ‚Opposition’ zu allen anderen Berufen, enthält aber dann in sich selbst auch die ganz andere (sprachliche) ‚Opposition’ zu Lehrerin; in die ‚Opposition’ zu allen anderen Berufen ist also die ‚Opposition’ zu Lehrerin eingeschlossen, so dass – es ist eine einseitige Einschließung – Lehrer auch für Lehrerin stehen kann, nicht aber Lehrerin für Lehrer. Die männliche Form kann somit für die weibliche stehen, die weibliche aber nicht für die männliche.

Genau gegen dieses sprachliche Verfahren, das fest zur Grammatik auch unserer Sprache gehört (das Kapitel heißt traditionell ‚Femininmotion’) verstößt die Leipziger Entscheidung, die nach eigenem und durchaus zutreffendem Bekunden folgenlos bleiben wird. Sprachlich folgenlos sowieso, folgenlos aber auch in der Wirklichkeit außerhalb der Sprache. Es wird wegen dieser Entscheidung sicher nicht mehr Professorinnen in Leipzig oder anderswo geben. Rektorin Schücking hat inzwischen auch gesagt, nachdem die Verfassung durch das zuständige Ministerium genehmigt wurde, es handle sich hier um ein „symbolisches“ Zeichen. So gesehen würde jedenfalls ich persönlich, obwohl ich eigentlich dagegen bin, dies begrüßen, als Zeichen: man darf – angesichts der nach wie vor großen Dringlichkeit des Problems der Gleichstellung von Frau und Mann – solche Symbole setzen. Man sollte es sogar, meine ich, immer einmal wieder tun.

Die Sprachwissenschaft, so wie sie ist, bewertet nicht. Sie beschreibt, was ist, und sie erklärt auch, soweit dies möglich ist, wie das, was in einer Sprache ist, wurde. Würde man aber das mit den beiden Bedeutungen von Lehrer usw. bewerten, wogegen gar nichts spricht, müsste man die folgenden Punkte nennen. Zunächst: dieses Verfahren, dieses ‚Arbeitsprinzip’, hat in der Tat etwas Ungerechtes. Dieses besteht darin, dass die neutralisierte Form auch die männliche ist – eine Bevorzugung des Männlichen ganz ohne Zweifel. Andererseits kann, zweitens, die Sprache bei solchem Verfahren nur die eine oder die andere Seite bevorzugen, es gibt kein Drittes; sie kann nur, so oder so herum, ungerecht sein. Dann aber, drittens und vor allem, ist dies Verfahren – und hierin liegt nun ganz klar das Positive – ungeheuer ökonomisch, wobei es natürlich eben so ökonomisch wäre, wenn die weibliche Form die neutrale wäre, also: fast ebenso ökonomisch, denn die weibliche Form ist, wie die Dinge sind, zumeist etwas länger. Und viertens gibt es, ebenfalls wichtig, aber weithin unbekannt, jenes Verfahren der Neutralisierung, der ‚inklusiven Opposition’ auch außerhalb des Genus- oder Gender-Bereichs: es ist also etwas Allgemeineres, Übergreifendes. Zum Beispiel, um nicht irgendeines zu nennen, kann das Wort Tag das Wort Nacht miteinschließen (24 Stunden – ‚Wir waren vierzehn Tage unterwegs’), es kann aber umgekehrt Nacht gerade ausschließen, dann sagen wir ‚ein Unterschied wie Tag und Nacht’ – oder Brigitte Bardots seinerzeit berühmte Antwort auf die Frage nach ihrem schönsten Tag – „Eine Nacht“ (das kann man deutsch oder englisch oder italienisch genauso sagen wie französisch, und in sehr vielen anderen Sprachen auch; es ist also wirklich keine Spezialität des Deutschen). Ebenso etwa bei alt: ‚Der ist jetzt wirklich sehr alt geworden’ oder dann ,neutralisiert’: ‚Der Junge müsste jetzt so um die fünf Jahre alt sein’; analog etwa auch bei lang, hoch, breit und tief.

Übrigens gibt es solche Neutralisierungen auch im Lautlichen. So ist im Deutschen der Unterschied zwischen p, t, k und b, d, g am Wortende aufgehoben: zwischen dem Auslaut von Rat und Rad ist kein Unterschied. Gleich im Englischen ist dies nicht so: bet und bed.

Was nun aber die Erklärung der in vielen Sprachen allgegenwärtigen männlichen Genus-Neutralisierung angeht, so liegt sie auf der Hand. Es kann ja wirklich nicht erstaunen, dass unsere Sprachen das Männliche privilegieren. Unsere Welt ist nun einmal von sehr weither durch die männliche Sicht geprägt – und dies muss sich doch in unseren Sprachen, die auch von sehr weit her sind, spiegeln. Es gilt ja in jeder Hinsicht für die Wurzeln dessen, was man ‚Abendland’ nennt: Judentum und Christentum sind männlich geprägt, die griechisch römische Antike ebenso, Rom nicht ganz so stark wie Athen. Aber was unsere Sprachen angeht, müsste man ja noch erheblich weiter zurück...

Übrigens dominiert die Männersicht in der Sprache wohl nirgends so stark wie dort, wo es um das Beschimpfen, Beleidigen, Fluchen und ganz allgemein um die Kennzeichnung von Negativem geht. Im Französischen zum Beispiel ist das häufigste Wort in diesem Bereich und eines der häufigsten überhaupt con – es ist das vulgäre Wort für das weibliche Organ und das üblichste Schimpfwort. In dieser Hinsicht nun aber schneidet, wenn man schon wertet, das Deutsche ganz entschieden besser ab als unsere Nachbarsprachen, denn unser üblichstes vulgär-familiäres Schimpfwort (ich will es hier nicht nennen) ist, im Unterschied zu con, gender-neutral... Die feministische Sprachwissenschaft hat dies so gut wie gar nicht gemerkt. Sie hat sich sehr einseitig an anderem, vor allem an der Femininmotion, festgebissen. In der vulgären und auch schon familiären Sprache, denn das Familiäre ist vom Vulgären nicht klar zu trennen, hätte sie noch fündiger werden können. Das Buch von Luise Pusch „Das Deutsche als Männersprache“ (1984) suggeriert bereits im Titel, ‚Männersprache’ gelte speziell für das Deutsche. Da stoßen wir einmal wieder auf den bis vor einigen Jahrzehnten üblichen Tunnelblick der Germanisten. In Wirklichkeit steht das Deutsche in dieser Hinsicht im Vergleich klar besser da. Die romanischen Sprachen sind ungleich ‚männersprachlicher’ als das Deutsche. Im Spanischen zum Beispiel steht die Väter auch für ‚die Eltern’, die Brüder auch für ‚die Geschwister’, die Großväter kann auch die Großmütter einschließen, steht also für ‚Großeltern’, und die Onkels, die Vettern und die Neffen, auch für die Tanten, die Cousinen und die Nichten: los padres, los hermanos, los abuelos, los tíos, los primos, los sobrinos. Und um den König und die Königin zu bezeichnen, heißt es einfach ‚die Könige’, los Reyes. Da sagt man dann also: ‚Der feierliche Akt fand unter Teilnahme der Könige statt’.

Dann haben wir ja im Deutschen vor allem, wie etwa auch im Russischen, sprachlich ganz und gar untadelig, die hier entscheidende Unterscheidung Mensch und Mann, während alle romanischen Sprachen und auch das Englische nur ein Wort für beides haben oder eben wieder ein Wort mit zwei ungut zusammenhängenden Bedeutungen – da ist ‚Mensch’ in der Tat der (sprachlich) ‚neutralisierte’ Mann: man und homme, uomo, hombre usw. Wann immer man dies sagt, ist jedoch einer zur Stelle, der einem erklärt, dass auch das Wort Mensch auf Mann zurückgeht, nämlich auf ein erschlossenes germanisches manniska, ‚männisch’. Richtig – aber dies hindert ganz und gar nicht, dass wir jetzt und schon seit sehr langem hier zwei verschiedene Wörter haben und dass im Deutschen der Mann, wie es sich gehört, einer der beiden Fälle von Mensch ist.

Nun aber andererseits die wichtige, die zentrale Frage: erleben diejenigen, deren Sprache nur ein einziges Wort für ‚Mensch’ und ’Mann’ hat, den Mann anders als wir Deutschsprachigen oder als die Russischsprachigen? Ganz sicher nicht. Und dies ist ein weiterer und entscheidender Punkt: die Sprechenden wissen, intuitiv zumindest (und dieses Wissen ist entscheidend), dass ihre Sprache die Wirklichkeit nicht einfach abbildet wie ein Spiegel, sie unterscheiden zwischen Sprache und Wirklichkeit, genauer: sie unterscheiden zwischen der Wirklichkeit ihrer Sprache und derjenigen, auf die ihre Sprache zielt. Die feministische Sprachkritik überschätzt gewaltig die bewusstseinsbildende Macht einer Sprache. Man muss die Wirklichkeit außerhalb der Sprache verändern. Leicht erreichbare und möglichst kostenlose Kitas sind für die Gleichstellung ungleich wichtiger und auch bewusstseinsbildender als der zudem utopische Versuch, sprachwidrige Regelungen durchzusetzen.

Der spanische Sprachwissenschaftler Ignacio Bosque von der „Königlichen Spanischen Akademie“, „Real Academia Española“, hat im vergangenen Jahr eine sehr gute Ausarbeitung (18 Seiten) mit dem Titel „Sprachlicher Sexismus und Sichtbarkeit der Frau“ vorgelegt („Sexismo lingüístico y visibilidad de la mujer“). Dieser Text wurde in der Vollversammlung jener Akademie am 1. März 2012 von allen anwesenden Mitgliedern angenommen. Javier Marías, der wohl bedeutendste lebende Schriftsteller Spaniens, war bei dieser Sitzung nicht dabei, erklärte aber danach, er sei mit dem Text Bosques vollkommen einverstanden. In diesem Text heißt es: „Unter Sprachwissenschaftlern gibt es eine allgemeine Übereinstimmung darüber, dass der nicht markierte oder generische, beide Geschlechter bezeichnende Gebrauch des Maskulinums im grammatischen System des Spanischen wie auch in dem vieler anderer – romanischer und nichtromanischer – Sprachen fest verankert ist und dass es keinen Grund gibt, ihn zurückzuweisen. Man darf deshalb mit vollem Recht die Frage stellen, über welche professionelle, wissenschaftliche, soziale, politische und administrative Autorität diejenigen verfügen, die mit solcher Insistenz den sexistischen Charakter solcher Ausdrücke behaupten und damit diejenigen diskreditieren, die sie verwenden. Man darf doch nicht vergessen, dass Urteile über unsere Sprechweise auch uns selbst treffen.“ Ausführlich nimmt hier Bosque Bezug auf eine Reihe von Leitfäden zu einer „nicht-sexistischen“ oder „gendergerechten“ Sprache, die es in den letzten Jahren in Spanien gab und an denen es hierzulande auch nicht fehlt. Dazu sagt er sehr deutlich: „Ein guter Schritt in Richtung auf die Lösung des ‚Problems der Sichtbarkeit der Frau’ wäre es, schlicht und einfach anzuerkennen, dass man, wenn man diesen Leitlinien folgte, gar nicht mehr sprechen könnte.“

Dies nun führt uns auf Leipzig und auf die Worte der Rektorin Schücking zurück. All diese Hinweise oder auch Anweisungen zielen ja nur auf offizielle und also schriftliche Verlautbarungen. Nur derlei kann ja überhaupt geregelt werden. Den allgemeinen Sprachgebrauch kann man nur sich selbst überlassen. Die Römer hatten den Spruch: „Selbst der Caesar steht nicht über der Grammatik.“ Jene Versuche, die Sprache quasi offiziell zu regeln, widersprechen aber dann gerade der – unter demokratischem Vorzeichen – wichtigen Bemühung, die Sprache der Gesetze, der Erlässe und der offiziellen Verlautbarungen wieder näher an die allgemeine Sprache heranzuführen.

Wäre – nur eine Frage – irgendeine der mehreren einschlägigen Akademien oder eine der anderen hier in Frage kommenden Institutionen deutscher Zunge bereit, sich einen Text, der dem von Ignacio Bosque mutatis mutandis entspräche, zu eigen zu machen? Und hätten wir da ebenfalls einen Konsens – auch nur unter Sprachwissenschaftlern und Sprachwissenschaftlerinnen?

Coda

Zufällig stoße ich gerade auf ein Heft der nach 1945 gegründeten Zeitschrift „Universitas“, Heft 12 des 2. Jahrgangs, 1947. Da findet sich am Ende unter „Nachrichten aus den Universitäten“ diese kurze Notiz: „Zum ersten weiblichen Professor der Universität Tübingen wurde Fräulein Dr. Hildegard Gauger ernannt. Prof. Gauger vertritt seit längerer Zeit das Fach der Anglistik.“ Da sieht man den großen Unterschied, den Wandel: niemand würde heute in solchem Fall vom „ersten weiblichen Professor“ reden, man würde jetzt „zur ersten Professorin“ ernannt, und „Fräulein“ (Hildegard Gauger war damals fast fünfzig!) verschwand sehr zu Recht ziemlich schnell in den siebziger Jahren, so wie sich in jenen Jahren das „Du“ unter den Studentinnen und Studenten ausbreitete – zwei Beispiele für einen überaus raschen Sprachwandel. Dass Fräulein verschwinden musste, leuchtete doch fast jedem ein (nicht allen, ich weiß) – warum sollte man bei einer Frau – im Unterschied zu einem Mann – schon in der Anrede den Familienstand erkennen oder ihn berücksichtigen müssen? Deutlich erinnere ich mich an die Kollegen, die damals sagten: „Nein, um Gottes willen, jede Siebzehnjährige rede ich jetzt mit ‚Frau’ an.“ Sicher hat zu diesem Wandel bewusstseinsbildend auch die feministische Sprachwissenschaft beigetragen. Und dies war auch gut so. Hildegard Gauger starb 1975 fünfundachtzigjährig als ‚Fräulein Gauger’. Sie war eine entfernte Tante von mir, ich habe sie erst als Student kennengelernt: „Aber wird sind doch verwandt, also duzen wir uns doch!“. Nach ihrer Meinung zum Wechsel von Fräulein zu Frau habe ich sie nicht gefragt (kaum hätte ich mich auch getraut, dies zu tun). So wie ich sie kannte, könnte ich mir aber schon vorstellen, dass sie gesagt hätte ‚Ich finde das gut.’ Ja, und mein erster Assistent war die unvergessene Brigitte Schlieben-Lange. Sollte ich da sagen ‚Meine erste Assistentin war eine Frau’? Oder dann, denn so war es, ‚Meine zweite Assistentin war ein Mann’?

Hans-Martin Gauger, Februar 2014