Wulf Oesterreicher
Kundus-Rede von Thomas de Maizière

Im Zusammenhang mit der Berichterstattung über den sukzessiven Abzug der Kampftruppen der Bundeswehr aus Afghanistan, genauer über die Übergabe des Feldlagers in Kundus durch Außenminister Guido Westerwelle und Verteidigungsminister Thomas de Maizière an die afghanischen Sicherheitskräfte, möchte ich von einer wichtigen, stilistisch-grammatisch aber doch sehr erstaunlichen Zeitungsmeldung berichten.

In seiner Rede im Feldlager betonte Verteidigungsminister de Maizière zu Recht, dass die Bundeswehr den Ort Kundus im Norden Afghanistans nie vergessen werde – wörtlich: „ er hat die Bundeswehr geprägt wie kaum ein anderer Ort. Hier wurde aufgebaut und gekämpft, geweint und getröstet, getötet und gefallen.“

De Maizière und vielleicht auch sein Referent und Redenschreiber haben dabei nicht bemerkt, dass diese Formulierung einen sprachlichen Fehler enthält: Beim deutschen Verb fallen im Sinne von ‚fallen, stürzen’ und dann von ‚im Krieg sterben‘ muss grammatisch ein Subjekt oder ein Äquivalent erscheinen, das zwar nicht ‚persönlich‘ sein muss, auf jeden Fall aber mit sein konstruiert wird, also etwa der Vater seines Freundes ist im Krieg gefallen, 200 Soldaten sind gefallen, es sind sehr viele gefallen, viel zu viele sind gefallen usw. Die unpersönlich-passivische Konstruktion mit wurde, die bei aufgebaut, gekämpft, geweint, getröstet und getötet durchaus möglich ist, hat die Besonderheit, dass das an sich notwendige unpersönliche es wurde gekämpft auch durch eine Orts- oder Zeitangabe oder eine Bestimmung der Art und Weise ersetzt werden kann – also dort / damals / sehr lange / sehr grausam – wurde gekämpft. Obwohl die Grammatikalitätsgrenzen bei dieser unpersönlich-passivischen Konstruktion teilweise schwer zu bestimmen sind, ist bei gefallen die Grenze aber klar überschritten, die Konstruktion also nicht normgerecht.

Es sind auch keine wirklich ‚mildernden Umstände‘ darin zu sehen, dass das Partizip Perfekt gefallen in der Rede von de Maizière erst ganz am Ende einer Aufzählung steht, in der – rhetorisch an sich sehr wirkungsvoll – ein Parallelismus von drei kurzen Verbalphrasen erscheint, die intern jeweils durch zwei mit und verbundene Partizipien konstituiert sind. Die einzelnen Partizipien aufgebaut und gekämpft, geweint und getröstet, getötet und gefallen werden damit hervorgehoben, fokussiert, womit auch das Wort gefallen ein besonderes Gewicht erhält. Diesen Parallelismus kann man – ohne dass dies den grammatischen Fehler rechtfertigen könnte – immerhin als eine Art Motivation für diesen Missgriff bei der Verbkonstruktion in der Rede von Minister de Maizière in Rechung stellen.

Unentschuldbar ist es nun aber, dass die Süddeutsche Zeitung vom 7. Oktober 2013 auf der Titelseite den aus seinem Zusammenhang gerissenen, verkürzten und auch in der Konstruktion veränderten Satz „In Kundus wurde getötet und gefallen“ als Haupttitel fett und mit dicken Anführungszeichen setzte. Der Untertitel lautet dann stilistisch unauffällig „Die Bundeswehr zieht ihre Kampftruppen ab und übergibt das Feldlager an die Afghanen. Der Einsatz hat die Armee und Deutschland nachhaltig verändert, sagt der Verteidigungsminister“.

Man könnte nun auf den irrigen Gedanken kommen, die fehlerhafte Konstruktion dadurch entschuldigen zu wollen, dass die Formulierungen unserer Kriegerdenkmäler „Für Heimat und Vaterland sind in unserem Dorf gefallen...“, „Den Gefallenen zweier Weltkriege...“, die Namenslisten mit dem Hinweis „gefallen bei Verdun“ oder „in Stalingrad“ oder die Feststellung in einem Lebenslauf „sein Vater ist im Krieg gefallen“ heute in der Öffentlichkeit nicht mehr so präsent sind, wie dies in den Jahrzehnten nach dem Ende des zweiten Weltkriegs noch der Fall war. Es handelt sich aber auch heute noch um einen traditionell sehr klar bestimmbaren Verwendungskontext des Wortes fallen. Diese Verwendung von fallen für die dramatischen und schmerzlichen Ereignisse der Todesfälle in Kriegen stellt eine angemessen-respektvolle Formulierung dar, die nicht preisgegeben werden darf – sie ist für die in Afghanistan gefallenen Bundeswehrsoldaten ebenfalls die angemessene.

Der angesprochene grammatische Fehler ist in keinem Fall akzeptabel und darf auch nicht mit dem Hinweis auf journalistische Lizenzen gerechtfertigt werden – schon gar nicht in einer großen überregionalen Zeitung wie der SZ, die ja, nicht allein im Feuilleton, mit dem Anspruch auf kulturell-sprachliche Vorbildlichkeit auftritt. Der peinliche Missgriff schmerzt mich als treuen Leser der SZ besonders, denn man muss natürlich die Frage stellen, wie es möglich ist, dass ein solcher Fehler bei diesem hochsensiblen Thema von den verantwortlichen Redakteuren und Korrektoren der Zeitung auf der Titelseite nicht sofort erkannt und beseitigt wurde.

Kurz: Diese unerfreuliche grammatische Nachlässigkeit ‚beleidigt’ nicht allein die deutsche Sprache, sondern sie ignoriert die traditionellen Normen des Redens über ‚Gefallene’ und stellt damit vor allem auch eine Missachtung der toten Soldaten der Bundeswehr dar, die in Afghanistan gefallen sind.

Wulf Oesterreicher, November 2013