Hans-Martin Gauger
Ma sagt doch nix, ma redt doch bloß

Ein Hessenspruch. Und ein klassischer Einwurf, mit dem man den Gesprächspartner zu beschwichtigen sucht, wenn er beginnt, über das Gesagte in Wallung zu geraten.

Eigentlich ist dies ja ein Witz – ein Sprachwitz. Das heißt: Der Spruch ist ganz und gar nicht witzig, weil er ganz und gar nicht so gemeint ist, aber objektiv ist er witzig, weil reden ja einschließt, dass etwas gesagt wird. Dazu gibt es einen klassischen und unter dem Gender-Gesichtspunkt mit Recht beanstandeten Witz (witzig ist er trotzdem). Unser Mitglied Fritz Stern wurde denn auch, als er ihn, 1999, in seiner Dankrede für den „Friedenspreis des Deutschen Buchhandels“ arglos einflocht, in diesem Fall aber, denke ich, zu Unrecht kritisiert. Also: Ein Professor beklagt sich einem Kollegen gegenüber über seine Frau, sie rede so viel, er könne kaum mehr arbeiten. Darauf der Kollege: „Aber das ist ja furchtbar – und worüber redet sie denn die ganze Zeit?“ Darauf der Geschädigte: „Das sagt sie nicht!“. Hier liegt der Witz ja gerade auch darin, dass so etwas gar nicht geht. Jedenfalls nicht über längere Zeit hindurch. Nur über kürzere Strecken gibt es so etwas immer wieder doch. Denn es gibt ein – kürzeres – Reden, das wirklich nur der Aufrechterhaltung des Kontakts dient, auch der Zuwendung, die in solchem Kontakt liegen kann. Die Sprachwissenschaft hat dafür längst einen Fachausdruck – „phatische Kommunikation“. Er geht auf den polnischen Anthropologen Bronislaw Malinowski zurück: „ a type of speech in which ties of union are created by a mere exchange of words“ (so schon 1923; zum Glück übrigens – dies sei denen einmal gesagt, die immer wollen, dass deutsche Gelehrte immer nur deutsch schreiben – hat der Mann dies englisch geschrieben).

Vielleicht ging es ja der apostrophierten Gattin des nichtsahnenden Professors auch bloß um solche „ties of union“. Doch im Normalfall ist es anders. Da ist es so wie es in dem für die Sprachforschung wichtigen, leider aber etwas zu kurzen Paragraphen § 34 „Da-sein und Rede. Die Sprache“ von Heideggers „Sein und Zeit“ heißt: „Reden ist Reden über...“. Und da sind die drei Punkte schon im Text, wie auch in dem darauf Gesagten: „In jeder Rede liegt ein Geredetes als solches, das im jeweiligen Wünschen, Fragen, Sichaussprechen über ... Gesagte als solches. In diesem teilt sich die Rede mit“. Nicht eben schön gesagt, aber man kann es verstehen, und es ist richtig. Das „über“ des Sprechens ist das, was Heideggers Lehrer Husserl dessen „Intentionalität“ nannte: die des Sprechens und die – damit unmittelbar zusammenhängende – des Bewusstseins.

Doch zurück zu unserem Hessenspruch. Insoweit es „phatisches“ Sprechen tatsächlich gibt und geben muss, hat er seinen Sinn, gar etwas wie Tiefsinn. Er meint faktisch: Ich hab doch gar nichts behauptet, ich wollte und will auch gar keine bestimmte Meinung von mir geben; es geht mir, jedenfalls hier und jetzt, ausschließlich darum, dass wir ins Gespräch kommen und darin bleiben.

So etwas steht auch – emotional – hinter dem, was man hessisch (und gar nicht unbedingt negativ getönt) ‚Gebabbel’ nennt. Es gibt in der Tat ein positiv einzuschätzendes Gebabbel. Einer unserer früheren Präsidenten, mein Freund Herbert Heckmann (aber – wer mochte ihn nicht?), war darin, wenn es darauf ankam, und es kam ihm oft darauf an, ein sehr beträchtlicher Meister. Und dazu gibt es auch außerhalb des Hessischen Entsprechungen. Das schwäbische ‚Schwätzen’ zum Beispiel, auch oft ganz positiv gemeint, geht ebenfalls in diese Richtung – auch da ist das Kommunikative entscheidend, keinesfalls das ‚Was’ des Gesagten. Sogar könnte man hier Hölderlins berühmtes und schönes „Viel hat von Morgen an, / Seit ein Gespräch wir sind und hören voneinander / Erfahren der Mensch“ – mit Vorsicht – unterbringen (es steht in dem Gedicht „Friedensfeier“). Und Gottfried Benns schöne Verse „Kommt reden wir zusammen / Wer redet ist nicht tot“...“ gehören ganz sicher ebenfalls hierher (mit ihnen beginnt das Gedicht „Kommt – “).

Hans-Martin Gauger, Mai 2013