Uwe Poerksen
Kapital der Vielfalt

Wenn ich die Wendung ‚Kapital der Vielfalt’ gebrauche, entspricht das nicht dem üblichen Gebrauch des Wortes ‚Kapital’. Ich verwende es metaphorisch, im übertragenen Sinn.
Der ‚Große Wahrig’, das vielleicht zuverlässigste Wörterbuch aus jüngster Zeit, nennt folgende Begriffsinhalte: Kapital – 1) Geldbetrag zu Investitionszwecken, 2) Summe der Sachmittel, die der Gütererzeugung dienen, 3) Gesamtheit des Vermögens, 4) ein Produktionsfaktor neben Boden und Arbeit, usf. Der ‚Große Duden’ von 1999 spitzt diese Bedeutung eher noch zu: Kapital ist, was Gewinn erzeugt und abwirft und Produktion in Gang setzt...
Diese fixierte Bedeutung sowie der häufige Gebrauch des Wortes ist nicht mehr als 150 Jahre alt. Mitte des 19. Jahrhunderts mehrt sich der Gebrauch, der heutige Wahrig analysiert 63 Komposita mit Kapital. In der Sprachgeschichte spiegelt sich unsre Wirklichkeit.
In dem fünfbändigen Wörterbuch der Deutschen Sprache Joachim Campes, das 1807ff. erschien, fehlt das Wort Capital. Campe zählte es noch unter die Fremdwörter und hat es in seinem Verdeutschungsbuch von 1813 aufgenommen. Er gibt Beispiele bisheriger Übersetzungen: Herder sage der lateinischen Wortbedeutung caput = Haupt entsprechend: ‚Hauptgut’ und auch ‚Stammgut’. Er zitiert ihn: „Das Hauptgut der Menschen, der Gebrauch der Kräfte, die Ausbildung ihrer Fähigkeiten, ist ein gemeines bleibendes Gut; es muß im fortfahrenden Gebrauche fortwachsen“. Die von Campe selbst vorgeschlagene Übersetzung ist: ‚Hauptvermögen’ oder ‚Grundvermögen’ und es ist mehr als bemerkenswert, daß er in den Zusammenhang seiner Erläuterungen bereits den Gedanken des bleibenden gemeinen Gutes aufnimmt.
Kapital hat auch vor Campe und Herder bereits die Bedeutung von Geldvermögen. Schon den Fuggern wird nachgesagt, sie hätten ‚Cavedal’, mit dessen Hilfe sie wirtschaften, die Kaiserwahl beeinflussen und so fort. Es ist dennoch interessant, daß das Wort im 19. Jahrhundert in der zitierten Weise auf ein Merkmal reduziert wird. Monosemierung und Abstraktion ist das Hauptkennzeichen einer großen Zahl von Abstrakta, die zunächst eine weniger bestimmte, manchmal konkretere Bedeutung gehabt haben. Man erkennt es bei ‚Wachstum’, bei ‚Prozeß’, um den Begriff ‚Nachhaltigkeit’ wird zur Zeit Krieg geführt, mit dem Ziel seiner ökonomischen Monosemierung, in einem Buch über die Konstruktion der Feindbilder las ich den Begriff ‚die Monosemierung des Feindes’. Ich hätte gewünscht, daß der Verfasser dieses als Titel seines Buches gewählt hätte. Die Einengung des als Feind betrachteten Gegenübers auf ein einziges Sem, ein einziges Merkmal, ist der buchstäbliche Wahnsinn des Feindbildes. Man denke an die absurde Bedeutungsentwicklung des Wortes ‚Islamist’, aus dem Forscher, Kenner und Liebhaber des Islam wurde binnen kurzem ein gefährlicher Gotteskrieger.
Monosemierung hat das Bedenkliche, daß sie die Phantasie für die Wirklichkeit beseitigt.

Uwe Pörksen, Oktober 2010